Der Pfarrer von Ars und die Demut - Pfr. Walter Böhmer 29.02.2020

                            
„Wenn ich daran denke (an mein Elend, mein Nichts), zittere ich so, dass ich nicht imstande bin, meinen Namen zu schreiben.“

Schauen wir uns einmal das Wort Demut an. Wenn ich ein Kreuzworträtsel mache, kann sein, dass da steht ein anderes Wort für Unterwürfigkeit, Lebensunfähigkeit mit fünf Buchstaben. Demut, ein Wort, das in der Theologie sehr hochgeschätzt wurde, ich sage absichtlich wurde. Es ist wahrscheinlich schon längere Zeit her, als wir die letzte Predigt über die Demut  gehalten haben. Die Welt will Selbstbestimmung und  selbstverantwortlich leben. Unser altes deutsches Wort Demut kommt von dienen, Mut zum Dienen. Kann ja sein, dass ich mit einem Menschen Schwierigkeiten habe, dass ich dann die Kraft und den Mut habe, mich selbst zu überwinden und ihm trotzdem einen Dienst erweise. Bei Führungskräften kommt das ja wieder ein Stück weit herein und wird mit Worten wie Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit umschrieben, aber vielfach losgelöst von Gott.



Schauen wir auf die 1. Lesung vom Sonntag (Gen. 2,7-9; 3,1 -7), auf die Tragik des Sündenfalls. Dort heißt es, Gott erschafft den Menschen, gibt ihm das Leben und setzt ihn in einen Garten. Aber nicht, dass er ihm als Gärtner diene, sondern um ihn mit allem zu erfreuen, was seine Liebe für ihn ausersehen hat. All das darf er genießen. Gott ist keiner, der uns etwas vorenthalten möchte. Dann kommt die Schlange. Sie macht eine Brunnen- bzw. Gottesvergiftung. „Hat dieser Gott wirklich gesagt...“ sie vergiftet das Verhältnis Gott – Mensch. Eine Tragik, die wir in unserer Welt haben. Eva ist nicht mehr fähig, auf alle Früchte zu schauen, die Gott ihnen doch gibt. Sie schaut nur auf den einen Baum, auf die verbotene Frucht.

Das gibt es auch bei uns, da kommt der Widersacher mit Neid. Wir schauen auf andere, was sie können, was sie für Fähigkeiten haben, wie es vielleicht in ihrer Pfarrei, in ihrer Ehe, in ihrer Familie wunderbar funktioniert. Wir schauen nicht mehr auf die vielen Dinge, die in unserem Leben auch gut sind. Wir starren nur noch auf die anderen. Es verdunkelt sich in uns, wir werden freud- und friedlos. Alles hängt mit dieser Gottesvergiftung zusammen, dass wir nicht mehr davon ausgehen, dass es Gott gut mit uns meint. Keinem hat Gott alles gegeben, keinem nichts!

Wenn ich heilig werden möchte, muss ich erst heil werden von diesem falschen Gottesbild. Gott zeig mir, welche Gaben du mir gegeben hast und wie ich sie entwickle. Wir haben doch die hl. Eucharistie und die hl. Messe, damit Wandlung geschieht. Legen wir das immer wieder in die Opferschale. Herr, wandle mich wie diese Gaben, wandle auch das falsche Gottesbild in mir. Für Gott muss es ein großer Schmerz sein, dass wir von ihm so ein falsches Vaterbild haben.

„Mein Weg ist Liebe und Vertrauen zu Gott. Ich verstehe die Seelen nicht, die einen so zärtlichen Freund fürchten. Meine Seele ist berufen, sich Gott stets in Liebe zu nähern, nicht mühevoll auf der Leiter der Ehrfurcht. Für jene, die Gott lieben, gibt es keine Furcht vor Gerechtigkeit. Gott kennt meine Schwäche, Wovor soll ich mich fürchten? Die Erinnerung an meine Sünden demütigt mich, aber sie spricht auch von Liebe und Barmherzigkeit. Meine Sünden werden sofort gelöscht, wenn ich sie mit Zuversicht ins Feuer der Liebe Gottes werfe!“ Sel. Zdenka Schelingová

Raphael M. Bonelli, der Psychotherapeut aus Wien sagt: solch ein Glaube hat ein riesiges psycho-therapeutisches Potential. Es ist wissenschaftlich gesichert: Religion ist günstig für die psychische Gesundheit; liefert wichtige Ressourcen für die Bewältigung leidvoller Situationen; erhöht die Erfolgsaussichten zur Überwindung von Depressionen. Wer glaubt, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Besten führt (Röm. 8,28), kann Schicksalsschläge besser wegstecken und einen Sinn darin erkennen.

Durch die Gottesvergiftung fragen wir aber meist warum, seltener wozu. Gott, was willst du mir damit sagen? Wozu dient das? Wie kann ich das fruchtbar machen? Fruchtbar machen für das Heil der Welt, aus Liebe zu dir tragen. Wir werden einmal erkennen, wozu diese Schicksalsschläge sind.

Wie viele Gnaden und Möglichkeiten bietet die Kirche? Wie wenig werden die Geistlichen angefragt! Gott sagt: Ich biete dir alles an! Der Mensch sagt nein, da geh ich lieber zum Heiler oder Psychotherapeuten, bevor ich den Pfarrer bitte, über mich zu beten.

Zurück zum Sündenfall. Da heißt es, da gehen ihnen die Augen auf: nicht so, wie sie gedacht haben, jetzt erkennen sie, wie armselig sie sind, wie erbärmlich, wie gebrechlich, was für eine merkwürdige Kreatur sie sind. Von der Erde genommen, wenn ich das Göttliche nicht beachte, dass ich Gottes Ebenbild sein darf, bin ich ein Nichts! Deshalb verstecken sie sich vor Gott. Weil sie plötzlich merken, dieser Heilige Gott mit dem sie vorher auf Du und Du waren auf Augenhöhe, mit dem sie gesprochen haben, in dessen Gegenwart sie sich wohlgefühlt haben, dieser Gott rückt für sie nun in unendliche Ferne.

Demut – lateinisch humilitas = Humus, dem Mensch wird klar, er ist Staub, er ist von der Erde. Aber Gott will diesen Humus, er will nichts ohne uns tun. Er will keinen Menschen retten ohne uns. Er wollte seine Erlösungstat nicht ohne Maria, nicht ohne Simon von Cyrene vollbringen. Das Verstecken vor Gott geht so weit, dass der Mensch ihn töten wird. Nietzsche sagt, wir haben Gott getötet, was haben wir damit getan? Wir haben die Erde losgelöst von der Sonne. Heute töten die Menschen Gott durch das Vergessen. Man lebt, als ob es Gott nicht gäbe.

Der Pfarrer von Ars hatte einmal die Bitte, sehen zu dürfen, wie er vor Gott ist; er hat aber gleich darauf wieder gebeten, sofort alle Erinnerungen daran zu löschen, sonst könne er nicht mehr weiterleben. Das ist das eine! Das andere ist, wir sind als Kinder Gottes unendlich kostbar mit der Taufgnade ausgestattet. Von dieser Würde und der radikalen Liebe Gottes zu den Menschen ist der Pfarrer von Ars durchdrungen: nur ihrem Heil gilt seine Sorge und all sein Mühen. Sein Leben war ein Leben für andere. Der Dalai Lama sagte in einem Interview: „Der Sinn des menschlichen Lebens ist, glücklich zu werden. Das wollen wir doch alle!“

Das war nicht die Lebensmaxime unseres Pfarrers. Er opferte im Laufe seines Lebens alles: Ruhe, Gesundheit, Freude, Freiheit. Le Monnin beschreibt uns den 70-jährigen Pfarrer von Ars mehr als von den Jahren durch die Mühsale seines apostolischen Lebens entkräftet, wie er sich nach einer schlaflos verbrachten Nacht in der Fieberhitze erhob und seine lange und harte Tagesarbeit an sich vorüberziehen ließ. Er war so schwach, dass er nur gehen konnte, indem er sich von einem Sessel zum anderen schleppte, auf seine Einrichtungsgegenstände hinsank oder sich an der Wand des Zimmers festhielt. Wer an seiner Stelle hätte nicht der Versuchung nachgegeben, etwas länger im Bett zu verweilen? Aber die Liebe zu den Seelen, welche an seiner Türe standen und Befreiung von der Last der Sünde erwarteten, hielt ihn nicht in den Banden und der Durst nach dem Heil machte ihm alle Opfer leicht. Dann schleppte er sich zum Beichtstuhl und verbrachte dort Stunden mit der Anhörung von Beichten.

Der hl. Pfarrer von Ars seufzte beständig über den Verlust der Seelen. Mehrmals hörte man ihn mit tiefbewegten Herzen wiederholen: „wie sehr ist es zu beklagen, dass Seelen, welche unserem Herrn so viele Leiden gekostet haben, auf ewig zugrunde gehen? Und für die armen Sünder empfahl er ständig das Gebet.

Jesus zu Sr. Faustyna:“Das Gebet, das mir am wohlgefälligsten ist und immer erhört wird, ist das Gebet für die Rettung der Sünder.“

„Herr Pfarrer“, fragte ihn eines Tages einer seiner Mitarbeiter, „wenn Gott Ihnen die Wahl ließe, augenblicklich in den Himmel einzugehen oder auf der Erde zu bleiben und sich abzumühen für die Bekehrung der Sünder, was würden Sie tun?“ „Ich glaube, mein Freund, ich würde bleiben“ - „Möglich, Herr Pfarrer! Die Heiligen sind so glücklich im Himmel, da gibt es keine Versuchungen, kein Elend mehr!“ „Es ist wahr mein Freund, aber die Heiligen leben von Renten. Sie haben viel gearbeitet, denn Gott straft die Trägheit und belohnt nur die Mühen; jedoch können sie nicht mehr wie wir Gott verherrlichen mit Opfern für das Heil der Seelen.“ „Würden Sie auf der Erde bleiben bis zum Ende der Welt?“ - „Ja, gewiss – in diesem Fall hätten Sie einige Zeit vor sich; würden Sie trotzdem so früh aufstehen?“ „Ja, mein Freund, um Mitternacht! Ich fürchte nicht die Müdigkeit... Ich wäre der glücklichste Mensch, wenn nicht der Gedanke wäre, dass ich vor dem Richterstuhl Gottes erscheinen muss mit meinem armen Pfarrerleben.“

Neben den Sündern galt seine Liebe den Armen. Für sie versagte er sich alles. Um Geld für die Erleichterung fremder Not zu verschaffen, verkaufte er alles: Einrichtungsgegenstände, Schuhe, Kleidung, ja sogar seine letzten Zähne. „Was liegt daran, wenn ich nur Geld habe für die Armen!“

Wenn ihm Arme begegneten, schenkte er ihnen Schuhe und Strümpfe, oft kehrte er barfuß ins Pfarrhaus zurück. Während der Mission in Trevoux bekam er von seinen Mitbrüdern Samtschuhe, mit der Bitte, diese auch zu tragen. Bereits auf dem Heimweg trifft er einen frierenden Armen und schenkt sie ihm. Er wechselte hinter Büschen auch seine Hosen gegen schlechtere, seine Chorherren-Mozetta hatte er auch nicht lange. Ein Mitbruder, der für den Bau einer neuen Kirche nach dem Geheimnis fragte, wie er zu Geld komme, sagte er: „Mein Freund, mein Geheimnis ist höchst einfach: Alles hergeben und nichts zurückbehalten.“

Gott hat ihn in die Schule der Demut genommen: Er pflegte zu sagen: „Gott erwies mir die große Barmherzigkeit, mir nichts mitzugeben, auf das ich mich stützen könnte: weder Begabung noch Wissen, weder Weisheit noch Kraft und Tugend.“ Die niederdrückende Erinnerung an die Schwierigkeiten seiner Studien, die er viel zu spät bei Abbé Balley begonnen hatte, lastete zeitlebens auf ihm. Sein schlechtes Gedächtnis, gerade in der lateinischen Sprache: im Kleinen Seminar paukte er mit viel Jüngeren Latein. Einer gab ihm mit viel Geduld Nachhilfe, eines Tages rutschte dem die Hand aus und er gab Jean Marie Vianney  eine Ohrfeige. Dieser kniete sich vor den Jüngeren und bat unter Tränen um Verzeihung. Seine Zulassung zur Priesterweihe mit nur drei Fragen: ist er fromm, betet er gerne – betet er den Rosenkranz -  liebt er die Jungfrau Maria. Scherzend verglich er sich mit Bordin, dem Dorfidioten; „Er kümmert sich noch um seine Geschäfte“, sagt er, „doch den anderen Menschen gegenüber ist er blöd. Ich denke mir, im Vergleich zu den anderen Pfarrern bin ich auch wie Bordin. In allen Familien gibt es ein minderbegabtes Kind. Bei und waren meine Brüder und Schwestern einigermaßen gescheit, ich war der dümmste von allen.“

Alle, die ihn bewunderten, staunten am meisten darüber, dass ihn die Verehrung, die ihm die Pilger entgegenbrachten, in keiner Weise berührten. „Die für mich erstaunlichste Eigenschaft des Pfarrers von Ars“, sagte Abbé Raymond, „war seine bewundernswerte Widerstandskraft gegen die berauschende Wirkung der Ehrungen, die ihm Priester und Laien entgegenbrachten. Weil er genau wusste, dass die Menschen nach Ars kamen, um ihn zu sehen und zu sprechen, wies er gerne auf die Werke hin, die Philomena als seine Vermittlerin bei Gott vollbracht hatte. Mir ließ das keine Ruhe, dass ich sein Herz nie mit einem Gefühl des Stolzes überraschen konnte, darum fragte ich ihn nach dem Geheimnis seiner Demut.  Da gab er mir zur Antwort: „Mein Freund, wenn die Heiligen einen bestimmten Grad der Vollkommenheit erreicht haben, sind sie ebenso unempfindlich für das Lob wie für den Tadel.“

Für den Pfarrer von Ars war es unglaublich schmerzhaft, wenn diesem guten Gott auch nur eine einzige Seele verlorengeht. Gott hat ihn zum Werkzeug seiner Gnade auserwählt. Ich kann nur wirklich demütig sein, wenn ich wie er ein klares Gottesbild habe. Ich denke, an dem fehlt es heute ganz gewaltig. Die Liebe zu Gott, für das Heil der Seelen kommt immer wieder zu kurz, wenn ich die ganze Debatte über die Missbrauchsfälle anschaue. Ich habe noch keinen gehört, der sagt, für die Opfer beten, aber auch für die Täter, dass sie sich bekehren, dass sie nicht verloren gehen. Betet für die, die so etwas Grausames getan haben, dass sie sich bekehren. Es geht auch darum, dass auch sie den Weg zum Heil finden. Ich habe das Gefühl, der Himmel ist uns absolut verloren gegangen.

 Der Pfarrer von Ars hat immer auf den Himmel hin gelebt, was bin ich im Vergleich zu Gott, jedoch zu welcher Würde hat er mich berufen. Gott hat ihn mal ansatzweise die Größe einer Seele gezeigt, in der die Gnade ist. Er sagte, das übersteigt alles an Glanz, Schönheit und Herrlichkeit. Wir schauen nur noch auf die Menschen, nicht mehr auf Gott. Das wäre beim Pfarrer von Ars undenkbar gewesen. Sein erster Bezugspunkt war immer die Liebe zu Gott. Lassen wir Gott wieder Gott sein, erkennen wir seine Liebe und Größe. Der große Gott, der die Welt erschaffen hat, wie liebt er mich, ich bin wirklich nur wenig unter ihn gestellt, er will mich ihm ähnlich machen in seiner Herrlichkeit.

Echte Gottesliebe hat immer die Folge, dass ich auch die Menschen liebe, aus ganzem Herzen.


Protokoll Elisabeth Johann 3.03.2020