Ich bin 1954 in Mainz am Rhein geboren, aber bereits mit 2 Jahren stand ein Umzug an. Mein Vater, Diplomingenieur und Architekt, nahm ein Angebot in Dresden an. Fünf Jahre sollte er an der damaligen Technischen Hochschule (heute Universität) lehren und auch bauen. Das Gebäude, das „Institut für technische Werkzeuge“, steht heute noch.
Wir bekamen ganz schnell Kontakt zur Gemeinde St. Joseph in Dresden-Pieschen. Inmitten einer kommunistischen Umwelt war die Gemeinde Nest und Stärkung. In den ersten Schulklassen wollte man, dass ich „Junger Pionier“ würde; aber ich lehnte immer wieder ab mit der Begründung, ich sei schliesslich katholisch und Ministrant. Die katholische Gemeinde leistete in Vielem Widerstand. Das klare katholische Prinzip war so prägend, dass meine Mutter, zunächst evangelisch, konvertieren wollte. Zusammen wurden wir 1964 gefirmt. Damals war dann auch die Mauer zwischen Ost und West gezogen, und uns wurde immer wieder die Ausreise verweigert. Eine schlimme Zeit, besonders für meine Eltern, aber eben auch für mich. Doch besonders die vielen Messfeiern, die ich dienen durfte, gaben mir großen Halt. Dass sowohl Kaplan als auch Pfarrer große Vorbilder waren, war damals noch selbstverständlich.
Dann geschah ein Wunder. Am Fest Maria Mercede (Maria vom Loskauf der Gefangen, nach der Liturgiereform nur noch in der „Alten Messe“ gefeiert), dem 24. September 1965, wurde unserer Ausreise stattgegeben. Endlich durften wir wieder in unser geliebtes Mainz! Doch was ich dann in den kommenden Jahren erleben musste, war ernüchternd. War ich in Dresden ein begeisterter Ministrant und Kirchgänger, so wurde in in Mainz zunehmend faul und träge. In Dresden gab es nicht sehr viele Ministranten. Doch in der Pfarrei in Mainz gab es nach der Erstkommunion sehr viele, deren Zahl dann aber innerhalb von 2 bis 3 Monaten rapide abnahm. Nun, es winkten die 68er Jahre mit allen Freiheiten. Dazu kam die Liturgiereform, die für mich ein erschreckender Einschnitt bedeutete. Die Heilige Messe wurde zu einer Art Religionsunterricht, Feierlichkeit, Ehrfurcht und Würde waren dahin! Und meine Begeisterung auch. In Dresden hatte ich zuhause „Messe gespielt“, meine Eltern mussten gar manche Predigt über sich ergehen lassen…und oft duftete die Wohnung nach Weihrauch und Kerzen. Das war mit einem male alles aus. Und die Kirche sah mich plötzlich immer weniger - und dann überhaupt nicht mehr.
Ein erneuter Umzug (1967) auf ein Dorf etwas südlich von Mainz, mit eigener Kirche und eigenem Pfarrer für 600 Katholiken, brachte nur vorübergehend etwas „Besserung“ für mich. Dann kamen die Jahre der Pubertät, die Disco-Besuche, die Mädchen. Es kam mein Engagement als Schulsprecher und es kamen meine „linken Jahre“. An Kirche war nicht mehr zu denken - wäre da nicht ein Kaplan in der nächsten Stadt gewesen, der im Gymnasium auf mich lautstark zukam und meinte, er wisse, ich sei katholisch. Warum ich denn nie in der Kirche zu sehen sei. Einerseits war ich über diese brutale Ansage entsetzt (Wie kann der nur…?). Andererseits: Hatte er in mir nicht plötzlich wieder etwas aufgeweckt, was so verschüttet war?
Ich begann, in die Frühmessen zu gehen. Und nach etwa einem Jahr schien für mich fest zu stehen: Jan, Du willst und sollst doch Priester werden. Auch und gerade in dieser verrückten Zeit! Doch da mich Politik und Discos doch eher interessierten als die dumme Schule, war ich nicht gerade der Beste. Mit zwei Fünfen in Mathe und Latein durfte ich die Klasse 11 wiederholen.
Und nun kommt das zweite Wunder, oder besser: der erste Teil des Wunders. Mit fiel das Buch von Hünermann, "Der Heilige und sein Dämon" in die Hände. Tief berührte mich die Lebensgeschichte des Heiligen Pfarrers von Ars. Ich spürte, dass er mir ganz konkret „den Weg in den Himmel“ zeigen wollte.
War er nicht auch in einer Schreckensherrschaft aufgewachsen? Konnte er als Kind nicht auch nur heimlich den Glauben leben? Hielt er nicht auch, wie ich als Kind, Andachten mit einer kleinen Mutter-Gottes-Statue ab, und predigte den Kindern vom Lieben Gott? Und besonders: hatte er nicht auch Schwierigkeiten beim Lernen, besonders auch beim Latein?
Ein tiefes Verlangen erfüllte mich, nach Ars zu fahren. Meine liebe Mutter erklärte sich bereit. Wir beide sollten zum Urlaub nach Südfrankreich fahren, und „auf dem Weg“ in Ars Station machen. Im Jahre 1972, in meinem siebzehnten Lebensjahr, durfte ich vor seinem Schrein knien. Diese Momente werde ich nie vergessen! Ein großes, ja übernatürliches Glück strömte in mich. "Hl. Pfarrer von Ars, hilf mir, Priester zu werden!“ - das war mein ständiges Gebet. Und heute heisst dieses Gebet: „Hl. Pfarrer von Ars, hilf mir, ein guter Priester zu werden“. Bei meinem ersten Aufenthalt, dem im Laufe meines Lebens noch dutzende folgen konnten, machte ich beim Abschied etwas Besonderes. Auf einen winzigen Zettel schrieb ich: „Hilf mir beim Latein-Lernen!“, ich nahm ihn und steckte ihn heimlich an der Rückseite des Schreins in eine Ritze zwischen Metall und Glas.
Ich hatte also noch zwei Klassen bis zum Abitur. Mathe blieb schlecht. Aber ich wurde in Latein immer besser, die Sprache machte mir immer mehr Freude… und am Ende stand eine Zwei auf meinem Zeugnis! Natürlich engagierte ich mich dann auch viel mehr in der katholischen Jugend in Alzey in Rheinhessen, wir waren Mitbegründer der ersten Städtepartnerschaft von Alzey Josselin, einer Stadt in der Bretagne - kurzum; es ging gut katholisch weiter. Wenngleich ich das Latein in der Messe, das mir ja von Kind an vertraut war, vermisste. Heute, in meinem achtunddreißigsten Priesterjahr, bin ich dort wieder angekommen, wenn ich die Alte Messe feiere. Und fast die gleiche Liturgie, wie sie der Heilige Johannes-Maria gefeiert hatte - wenn auch in der Form der Lyoner Liturgie.
Hat der Heilige Pfarrer bei mir ein Wunder gewirkt? Das Urteil überlasse ich dem Leser dieser Zeilen. Aber eines ist klar: Durch die Begegnung mit ihm wurde in mir eine Kraft freigesetzt, die mir den Schritt ins Priestertum ermöglichte. Und: durch das Kennenlernen dieses Heiligen Priesters und Patrons der Pfarrer der Welt habe ich einen Orientierungspunkt für mein Leben gefunden, den ich nicht missen will.
Der Weg, ein heiliger Pfarrer zu werden, ist gewiss noch lang. Aber das Ziel und eigentlich auch das „Wie“ ist mir durch Jean-Marie Vianney gezeigt. Gott sei Dank!
6.09.2021